Friedensnobelpreis 1933: Norman Lane Angell

Friedensnobelpreis 1933: Norman Lane Angell
Friedensnobelpreis 1933: Norman Lane Angell
 
Der englische »Pädagoge des Friedens« wurde für seine zahlreichen Publikationen zu Fragen der Friedenssicherung und Völkerverständigung sowie für sein humanitäres Lebenswerk ausgezeichnet.
 
 
Sir (seit 1931) Norman Lane Angell, * Holbeach (County Lincolnshire) 26. 12. 1874, ✝ Croydon (heute zu London) 7. 10. 1967; englischer Publizist, Wirtschaftswissenschaftler und Politiker, 1890-98 Aufenthalt in den USA, ab 1899 Herausgeber englischsprachiger Zeitschriften in Paris,1929-31 Abgeordneter der Labour Party, 1941-51 Aufenthaltin den USA.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Kriege können mitunter auch für den jeweiligen Sieger äußerst verlustreich und so letztlich zu seinem Schaden sein. Diese schmerzliche Erfahrung machte schon Pyrrhos I., König der Molosser, als er 279 v. Chr. die Römer in der Schlacht von Ausculum besiegte, für seinen Sieg jedoch mit hohen eigenen Verlusten bezahlen musste. Solche sprichwörtlichen »Pyrrhussiege« sind seither immer wieder erfochten worden. Das Risiko, selbst als Sieger zu den Verlierern zu gehören, hat allerdings wohl kaum eine Macht davon abhalten können, sich in kriegerische Abenteuer zu stürzen.
 
Mit der Entwicklung neuartiger Massenvernichtungswaffen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts haben sich Verluste an Menschenleben und die materiellen Verluste vervielfacht. Die direkten Kriegskosten des Ersten Weltkriegs werden auf mehr als 700 Milliarden Mark geschätzt, rund zehn Millionen Menschen kamen um, und beim Blick auf die Kriegsopfer sind keine Sieger, sondern nur Verlierer zu erkennen.
 
Dass ein künftiger Krieg zwischen den Großmächten verheerender als alle vorangegangenen Kriege sein würde, war vielen Menschen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert klar. Nicht ohne Grund entstanden in dieser Zeit zahlreiche neue Friedensorganisationen (um 1900 zählte man über 400), und auch in der Stiftung des Friedensnobelpreises spiegelt sich die Sorge über den drohenden Weltkrieg wider. Die Beweggründe, sich für den Weltfrieden einzusetzen, waren so unterschiedlich wie die Menschen, die in den verschiedenen Friedensbewegungen zusammenkamen: Marxisten, Christen und Internationalisten, Philanthropen und Liberale, sozialdemokratische Antimilitaristen und bürgerliche Pazifisten. Norman Lane Angell, der 1934 mit dem Friedensnobelpreis des Jahres 1933 geehrt wurde und die Auszeichnung nicht persönlich entgegennehmen konnte, weil er wie so oft in seinem Leben krank war, gehörte dabei nicht zu den fundamentalistisch eingestellten Pazifisten bürgerlicher Herkunft. Ein Krieg gegen menschenverachtende Diktatoren, beispielsweise gegen Hitler, der im selben Jahr in Deutschland die Macht übernommen hatte, war für ihn in einer Art Notwehrsituation durchaus gerechtfertigt. Die meisten Kriege erschienen ihm allerdings überflüssig, weil sie seiner Überzeugung nach, rein volkswirtschaftlich gesehen, einfach ihren Zweck nicht erfüllten. Und diese Erkenntnis versuchte er in seinen Büchern, Zeitungsartikeln und Vorträgen fast sieben Jahrzehnte lang in der Welt zu verbreiten.
 
 Kriege lohnen sich nicht
 
In der Tat war die wirtschaftliche Situation der Staaten, die im Zeitalter des Imperialismus versucht hatten, sich durch Eroberungskriege Zugang zu neuen Märkten, Rohstoffquellen und wichtigen Handelswegen zu verschaffen, wesentlich schlechter als die jener Länder, die ihre Ziele auf friedliche Weise verfolgten. Kriege sind daher nicht nur aus ethischer Sicht ein verwerfliches Mittel, internationale Konflikte zu lösen, sondern haben keinerlei Vorteile, nicht einmal für den Sieger, denn sie schädigen durch die enormen Kriegskosten (von der Rüstungsindustrie abgesehen) seine Wirtschaft und zerstören beim Verlierer Absatzmärkte für eigene Produkte. Anstatt ihre Nachbarn zu überfallen und auszurauben, sollten Großmächte ihnen also besser wirtschaftliche Hilfe leisten.
 
Seine Gedanken zur Friedenssicherung und Völkerverständigung fasste Norman Angell 1909 erstmals in dem dünnen Buch »Europe's Optical Illusion« zusammen. 1910 erschien es in einer zweiten Auflage, jetzt mit dem Titel »The Great Illusion« (englisch; Die große Illusion). Dank einflussreicher Förderer wurde der Titel bald in aller Welt bekannt, in zwei Dutzend Sprachen übersetzt und rund zwei Millionen Mal verkauft. Seinen Appell an die Vernunft wiederholte der englische Schriftsteller als »Pädagoge des Friedens« bis zu seinem Tod in rund 40 weiteren Büchern, etwa 1921 als er nach dem Ersten Weltkrieg die (bitteren) »Früchte des Sieges« beschrieb oder 1933 mit dem Buch »The Great Illusion — Now«, in dem er die Situation in den 1930er-Jahren mit der in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg verglich — und seine Warnungen vor einem neuen Weltkrieg bald bestätigt sah. Dieser Krieg wurde zwar von Hitler-Deutschland als Eroberungskrieg angezettelt, hatte daneben wie viele andere Kriege aber auch irrationale Motive, gegen die Appelle an die wirtschaftliche Vernunft nichts halfen.
 
 Ein bewegtes Leben für Frieden und Verständigung
 
Norman Angell, Sohn eines wohlhabenden englischen Landbesitzers und Kaufmanns, war schon seit seiner Jugend viel in der Welt herumgekommen und hatte dabei solche Motive wie Fremdenfeindlichkeit, Rassenhass oder religiöse Vorurteile kennen gelernt, daneben aber auch Menschen getroffen, die sich für Frieden und Völkerverständigung einsetzten, etwa in Genf oder in Paris. Besonders prägend war seine Zeit in den USA 1890-98, wo er sich im »Wilden Westen« der Union als Cowboy, Landarbeiter, Goldgräber und Postkurier versuchte, bevor er nach einem kurzem Aufenthalt in der englischen Heimat nach Paris ging, um als Journalist und Herausgeber verschiedener englischsprachiger Zeitungen tätig zu sein. Gerade die Erfahrungen in den USA mit der Expansionspolitik der neuen Weltmacht und der französischen Chauvinismus spiegeln sich in seinem ersten 1903 erschienenen Buch wider, in dem er mehr Rationalität in der Politik fordert.
 
Angells eigene politische Karriere als Abgeordneter der Labour Partei im britischen Unterhaus dauerte nur zwei Jahre. Dann stellte er fest, dass er der Menschheit als führender Vertreter des »Norman Angellismus« besser dienen konnte, vor allem auf ausgedehnten Vortragsreisen, die er unter anderem noch im Alter von 90 Jahren durch die USA unternahm. Der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller begnügte sich allerdings nicht nur mit Worten, sondern gründete nach dem Ersten Weltkrieg »Fight for Famine« (Kampf gegen die Hungersnot), eine Hilfsorganisation, die Lebensmittel, Medikamente und Kleider in den durch den Krieg verarmten Ländern Mitteleuropas verteilte. Während der Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland forderte er die britische Regierung auf, jüdischen Flüchtlingen in Großbritannien Asyl zu gewähren, und nahm selbst mehrere Flüchtlinge in sein Haus auf.
 
P. Göbel

Universal-Lexikon. 2012.

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